Streupflicht und Glatteisunfall

Die Pflicht zur Schneeräumung und Streuen mit abstumpfenden Mitteln auf öffentlichen nutzbaren Flächen ergibt sich in Schleswig-Holstein aus § 21 Kommunalabgabengesetz in Verbindung mit den Ortssatzungen. Die Wege müssen derart bestreut werden, dass sie von den Verkehrsteilnehmern ohne Gefahr benutzt werden können. Sein Sturz begründet nicht die Ursächlichkeit, sondern dem Streupflichtigen muß eine schuldhafte Verletzung seiner Streupflicht nachgewiesen werden.

§ 3 Absatz 3 der Reinigungssatzung der Stadt Neustadt verlangt, dass die Gehwege in einer Breite von 1,50 m von Schnee freizuhalten und bei Glatteis mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen sind. In Fußgängerzonen ist der gesamte Klinkerbelag bei Glatteis zu bestreuen. Salz ist nur bei Eisregen und besonders gefährlichen Stellen an Gehwegen erlaubt. Von 8 - 20 Uhr ist Glätte und Schnee so oft wie erforderlich zu beseitigen, danach enstehende Ablagerungen bis 8 Uhr des nächsten Werktages (9 Uhr am Feiertag).

Streupflicht ist keine vorbeugende Maßnahme sondern setzt eine konkrete Gefahrenlage voraus, ausnahmsweise kann ein vorbeugendes Streuen an gefährlichen Straßenstellen (Gefällstrecke, Kopfsteinpflaster und Wiederabsinkens der Temperatur) erforderlich sein. Während anhaltenden Schneefalls oder sich ständig erneuernden Glatteises besteht keine Streupflicht, ebenso, wenn es zwecklos wäre. Die Pflicht setzt nicht sofort am Ende des Schneefalls ein, sondern nach einer angemessenen Wartezeit. Kontrollpflichten auf Glättebildung sind von der Wetterlage abhängig. Keine Streupflicht bei einzelner Glatteisgefahr.

Der Eigentümer des Grundstückes oder der Straße muß reinigen und streuen.
Wenn er gehindert ist (Alter, Krankheit oder Urlaub) muß er rechtzeitig Vorsorge treffen, dass eine andere Person die Verpflichtung erbringt. Sofern Wohngemeinschaften Dienstleister damit beauftragen, obliegen den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft immer noch Überwachungspflichten.

Bei Bestellung eines Winterdienstes bleibt der Eigentümer verpflichtet, den Dienstleister sorgfältig auszuwählen und ihn auseichend zu überwachen. Seine Überwachungspflicht beschränkt sich auf stichprobenartige Kontrollen, z. B. beim Hereinholen der Zeitung morgens zu schauen, ob geräumt worden ist (AG Oldenburg, Urteil vom 08.12.2011, 23 C 304/11).

Parkplatzflächen:

Eine flächendeckende Streupflicht ohne Streulücken besteht nur dann, wenn der Parkplatz so angelegt ist, dass Benutzer auf ihm längere Strecken und nicht nur einige Meter zurücklegen müssen, um die geräumten Gehwege zu erreichen. Die Gemeinde hat nicht dafür zu sorgen, dass bereits beim Aussteigen aus jedem Fahrzeug gestreuter Boden betreten werden kann. Ständiges Nachsstreuen per Hand zwischen den Fahrzeugen kann nicht verlangt werden (OLG Celle, Urteil vom 25.08.2004, 9 U 109/04). Bei einer besonderen Gefahrenlage (Glättebildung in der Nähe eines Abflußschachtes) muß der Betreiber die Bildung durch überfrierende Nässe durch Streumaßnahmen Rechnung tragen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.10.2011, 4 U 400/10 -119).

Eine Räum- und Streupflicht für private Wege und Plätze ohne wirkliches Verkehrsbedürfnis mit reiner Abkürzungs- oder Bequemlichkeitsfunktion besteht in der Regel nicht (OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2013, I 6 U 178/12). Keine Haftung des Eigentümers bei Sturz auf vereinzelter Glatteisstelle wegen Tropfeises vom Baum/ einer Straßenlaterne (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.09.2008, 7 U 237/07). Auf diese typischen winterlichen Erscheinungen hat sich der Fußgänger einzustellen. Deshalb auch keine Haftung bei vereister Stelle von 50 cm Ausdehnung im Heckbereich des Wagens auf einem Sparkassenparkplatz. Dem Fahrzeugnutzer ist es zuzumuten, wenige Schritte auf nicht geräumten und gestreutem Terrain zurückzulegen, ehe er verkehrssichere Flächen erreicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 10.01.2012, 5 U 1418/11).

Ein Eisrest von einem Meter Durchmesser kann bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von einem Fußgänger auf einem sonst geräumten Parkplatz leicht umgangen werden, wenn sich der Unfall bei Tageslicht ereignet und sich die Gefahrenstelle deutlich vom dunklen Bodenbelag abhebt (LG Coburg, Urteil vom 30.11.2011, 21 O 380/11). Für die ausreichende Streupflicht auf einem Betriebsgelände ist lediglich ein Zustand herzustellen, der es erlaubt, bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt die Hoffläche gefahrlos zu befahren und zu begehen.

Sturz nach Ende der Streupflicht:

Eine jede Schädigung ausschließende Verkehrssicherungspflicht ist nicht erreichbar. Der Pflichtige muß nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich sind.

Es genügen nicht, Schilder mit "Kein Winterdienst" aufzustellen.

Es ist zu ermitteln, welche Sicherheit die gefährdete Person in der jeweiligen Situation erwarten darf. Gemäß der Ortssatzung sind nach 20 Uhr entstandene Glätte und gefallener Schnee werktags bis 8 Uhr des folgenden Tages, sonn- und feiertags bis 9 Uhr zu beseitigen. Wenn also nach 20 Uhr ein Sturz auf einem ungeräumten Streifen passiert, weil Schneefall oder Eisregen erst danach Glätte erzeugt hätten oder Streumittel weggewaschen worden wäre, entfällt Schadensersatz. Ein Sturz hätte sich nicht vermeiden lassen, auch wenn zuvor gar nicht geräumt worden wäre. Selbst wenn vor 20 Uhr lückenhaft geräumt wurde, wäre eine Schmerzensgeldklage bei einem Sturz nach Ende der Streupflicht erfolglos (AG Oldenburg, Urteil vom 21.03.2012, 18 C 273/11).

Streupflicht auf Straßen:

Voraussetzung ist eine allgemeine Glättebildung und nicht nur vereinzelte Glättestellen. Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrs, wie seine Gefährlichtkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs zu berücksichtigen. Die Pflicht besteht auf verkehrsreichen Durchgangsstraßen zur Gewährleistung des sicheren Hauptberufsverkehrs und an Feiertagen nur für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, werktags in der Regel von 7 bis 20 Uhr (BGH, Urteil vom 02.04.1984, VI ZR 125/83). Bei extremen Wetterverhältnissen (Schneefall, Eisregen, ständig überfrierende Nässe) besteht die Pflicht sogar erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich das Wetter beruhigt hat. Ein völlig sinnloses Handeln kann von der streupflichtigen Gemeinde nicht verlangt werden

(OLG Jena, Beschluß vom 21.09.2009, 4 U 341/08). Soweit in Nachbargemeinden in der Praxis tatsächlich umfangreicher Räum- und Streudienst geleistet wird, ist dies überobligatorisch (= rechtlich nicht verbindlich). Wer nach Ablauf der streupflichtigen Tageszeit zu Schaden kommt, muß darlegen und beweisen, dass sich der Unfall bei Erfüllung der Streupflicht in der vorgeschriebenen Zeit nicht ereignet hätte

(Zum Ganzen: OLG Schleswig, Beschluß vom 01.09.2017, 7 W 29/17).